(teo) Mal wieder gewonnen. Nicht schön, aber erfolgreich. Doch sind das wirklich Gegensätze? "Schöner Fußball ist erfolgreicher Fußball." So oder so ähnlich hat sich der Trainer immer gegen seine zahlreichen Kritiker verteidigt. Joga Bonito wollen sie in der Heimat alle, diesen schönen Fußball. Der viel besser zu Caipirinha und Samba passt. Doch der Rekordweltmeister und Turnierfavorit Brasilien beschränkte sich bei seinen Auftritten bei der Fußball-WM bislang auf das Nötigste: Spielkontrolle, sichere Abwehr, ein paar Geistesblitze und - zugegeben - schöne Tore. Fertig ist der Joga Bonito des fußballerisch in Europa sozialisierten Carlos Dunga. Dafür gibt es zwar Punkte und womöglich auch Erfolge, aber keine Liebe - so einfach ist das in Brasilien.
9480 Kilometer nordöstlich war die Welt vor elf Tagen aus den Fugen. Das neue Deutschland hatte Australien im ersten Vorrundenspiel nach allen Regeln der Kunst auseinander genommen. Und genau das war so ungewöhnlich: Dass Kunst im Spiel der jüngsten deutschen WM-Mannschaft aller Zeiten auf einmal eine größere Rolle spielte, als die allzuviel beschworenen deutschen Tugenden. Geduld? Iwo! Disziplin? Naja. Härte? Wozu? Mit 4:0 und dabei durchaus noch mit dem einen oder anderen Tor zu wenig wurde der - im Nachhinein zugegeben - nicht allzu starke Gegner ins WM-Quartier zurück geschickt und die Fußball-Welt rieb sich verwundert die Augen: Das soll Deutschland sein? Joga Bonito made in Germany, also Jogi Bonito sozusagen.
Die Wende kam in Form eines linkes Fußes. Der dem von Lukas Podolski zum Verwechseln ähnlich sah. Jedenfalls heißt es, dass es der linke Fuß von Lukas Podolski gewesen sein soll, der da diesen Elfmeter im zweiten Gruppenspiel gegen Serbien wie eine Rückgabe auf das gegnerische Tor beförderte. Wo der Keeper schon längst lag. Die jungen Künstler hatten sich bis dahin schwer getan, haderten mit dem kleinlichen Schiedsrichter, aber spielten auch in Unterzahl erfreulich munter weiter. Und erspielten sich wunderbare Torchancen. Die sie nicht verwerteten. Aber die Ansätze von Jogi-Bonito waren weiterhin gut sichtbar. Aber schöner Fußball ist erfolgreicher Fußball - und das engagiert geführte Spiel mit erstaunlich langen Fehlerketten ging 0:1 verloren.
Parallel dazu verlor der hochgeschätzte spanische Fußball - der Inbegriff des europäischen Joga Bonito - sein erstes Spiel unglücklich gegen die Schweiz. Im zweiten Spiel musste man Honduras dann - vergleiche auch Portugal vs. Nordkorea - mit einer richtigen Packung vom Platz schicken. Doch es reichte nur zu einem hochverdienten 2:0, das viele Fragen offen ließ. Noch paralleler brach sich Argentinien gegen elf Verteidiger aus Griechenland fast den Finger in der Nase und siegte glanzlos mit 2:0. Irgendwo dazwischen verlor Frankreich die Contenance und schied sieglos und hochverdient aus. Und England? England war froh, überhaupt mal gewinnen zu dürfen. Schön geht zwar anders, aber schöner Fußball ist erfolgreicher Fußball.
Insofern ist die ehedem als blutjunge Künstlertruppe ins Turnier galoppierte deutsche Elf nach dem dritten Spiel mit dem 1:0-Zittersieg gegen Ghana jetzt im Turnier angekommen. Jogis Joga-Bonito-Buben haben sich dem Niveau der WM angepasst. Deutschland spielt wieder wie Deutschland. Leider nicht wie 1990, 1996 oder gar 2006, sondern eher wie 1982 und 1986. Nur nicht so selbstbewusst. Im Spiel gegen Ghana war Arne Friedrich der sicherste Abwehrspieler. Das sagt eigentlich alles über die Leistung der deutschen Elf aus. Die Bewegung nach vorne lastete nahezu ausschließlich auf den sehr schmalen Schultern eines kleinen Türken aus Gelsenkirchen. Der es zwar zunächst versäumte, den Ball aus aussichtsreichster Position ins lange Eck zu schieben; der es dann später einfach vorzog, den Jabulani aus der schwierigeren Distanz halbhoch in die Maschen zu dreschen. Aber reicht ein Özil, um im Turnier zu bleiben?
Diese Maßeinheit - ein Özil - kann natürlich jederzeit den Unterschied machen, sicher. Das weiß man nicht nur an der Weser, wo Klaus Allofs schon zittert, wer nach der WM die Schatulle für den kleinen Mittelfeldzauberer wie weit öffnen wollen wird. Aber diese Maßeinheit dürfte im Wettkampf mit den Dominatoren der WM, die diesmal wieder aus Südamerika kommen, wohl ohnehin nicht reichen. Gegen, sagen wir mal einfach, Argentinien und Uruguay, wenn es neben Anschauungs-Unterricht mit Zungenschnalz-Aktionen im Mittelfeld und vor dem Tor auch richtig was auf die Socken gibt.
Einspruch? Erst kommt England? Ach ja. Noch so eine deutsche Tugend: Immer schon etwas voreilig mit dem Blick auf das übernächste Spiel. Dabei wäre der Blick zurück viel wichtiger. Gegen Australien trat die Mannschaft selbstbewusst auf, ohne Angst und ohne überheblich zu wirken. Sie war inspiriert, sicher in ihren Aktionen, spielte schnell und zwingend. 4:0 war sogar noch zu niedrig. Das war quasi Jogi-Bonito auf höggschdem Niveau, extrem erfolgreich noch dazu. Es gab nach dem irgendwie ernüchternden, wahrlich nicht schönen 1:0 gegen Ghana nicht wenige, die meinten, sie wären lieber nach begeisternder Leistung mit fliegenden Fahnen untergegangen, als mit einer so durchschnittlichen Leistung weiterzukommen.
Diese Meinung hatte das Fußball-Volk in der Heimat wahrlich nicht exklusiv. Muss ja nicht direkt gegen England sein. Und wer sagt denn, dass nach einem schnellen, offensiven Feuerwerk mit selbstbewussten Spielern automatisch auch der Misserfolg nach dem Schlusspfiff wartet. Jogi Bonito, schöner Fußball, made in Germany - können wir das bitte nochmal sehen?
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