Mittwoch, 25. Februar 2015

Best of Blog7 (IV): Speerwerfer, Dachdecker und Mikrofonhalter

(teo) Der 5. Spieltag der Fußball-Bundesliga beginnt mit der Frage, wie viele Interviews nach einem Spiel eigentlich geführt werden können. Bei der Länderspielübertragung am Dienstag wurde offenkundig, dass Mikrofonhalter Jürgen Bergener nach Menge bezahlt wird. Er interviewte wirklich alles, was nicht niet- und nagelfest war. Und es kamen dabei die wirklich wichtigen Fragen auf den Tisch: "Wie war die Situation in der Kabine, Thomas Müller?" - "Alles war sehr aufgeräumt." Immer gut, wenn man als interessierter Fan Wesentliches zum Spiel erfährt. Apropos niet- und nagelfest: Schade nur, dass Bergener keinen der Dachdecker auf den Färöer-Inseln vors Mikro bekam oder das Schaf, das Mehmet Scholl mehrfach fintenreich entwischte. Wie schön, dass es in der Fußball-Bundesliga immer nur um Fußball geht. Außer, wenn Steffen Simon kommentiert. Aber wir wollen nicht gleich den Teufel an die Wand malen. 


Garantie für leere Ränge.

(Foto (c): Thomas Ottensmann)
Denn der 5. Spieltag beginnt am Freitagabend um 20Uhr30 mit dem Topspiel Hertha BSC gegen den VfB Stuttgart. Berlin mit prima Saisonstart, aber ohne Spielmacher Baumjohann, der nach Kreuzbandriss lange ausfällt. Stuttgart überraschte zuletzt mit einem 6:2-Sieg gegen 1899; es waren die ersten Punkte der laufenden Saison. Und nun? Hertha - VfB 2:1

Am Samstag um 15Uhr30 erwartet der FC Augsburg den SC Freiburg. Augsburg hat nach dem Sieg in Nürnberg schon jetzt fast so viele Punkte wie nach der gesamten letzten Hinrunde auf dem Konto. Respekt. Freiburg geht nach dem Punktgewinn gegen die Bayern und der Nachverpflichtung von Darida ein paar Zentimeter optimistischer ins Spiel. Kann man ja auch mal machen. FCA - SCF 1:1

Nachdem alle 32 Nationalspieler des FC Bayern pünktlich wieder von ihren Länderspielreisen zurückkehrten, sieht es gut aus für das Heimspiel gegen Hannover 96. Versteht sich ja von selbst. Den Niedersachsen flattert auswärts beständig die Buchse im Wind. Womit das lebhafteste Moment des 96er Spiels in der Fremde schon beschrieben wäre. Im leichtesten Spiel des Jahres gibt es in München aber nun rein gar nichts zu verlieren. Außer Tabellenplatz 3. FCB - 96 3:0

Nachdem sich der TSV Bayer 04 Leverkusen im Auswärtsspiel bei Kevin-Prince Boateng eine ungewohnte Auszeit nahm, soll im Heimspiel gegen den VfL Wolfsburg wieder Zug ins Spiel. Mit Eren Derdiyok hat Bayer die Bank verstärkt und gleichzeitig die Hoffenheimer Trainingsgruppe 2 geschwächt. Was für ein Schachzug. Der VfL Wolfsburg hat seine Tribüne entlastet und den ehemaligen Torjäger und ehemaligen Nationalspieler Helmes nach Köln zurück geschickt. Schade eigentlich. Ein talentierter Speerwerfer verlässt die erste Liga. Bayer 04 - VfL 3:2

Das Wichtigste vorab: Tim Wiese ist ins Bremer Tor zurückgekehrt. Beim Abschiedsspiel von Torsten Frings wurde auch deutlich, dass die Werder-Fans den Frisurenspezialisten nur allzu gern wieder im rosa Trikot zwischen den Bremer Pfosten sähen. Doch Wiese möchte gerne noch drei Jahre lang in der Hoffenheimer Trainingsgruppe 2 verweilen. In Bremen müsste er auf ein siebenstelliges Gehalt verzichten, heißt es. Das möchte der ehemalige Torwart und ehemalige Nationalspieler nicht. Aber es gibt ja Wichtigeres als Fußballspielen. Im Spiel gegen Frankfurt steht also wieder Mielitz im Bremer Tor. Was eine gute Nachricht ist. Zumindest für die Eintracht. Werder - Eintracht F 1:2

Auf Schalke ist nach der Verpflichtung von Kevin-Prince Boateng alles im Lot. Erstes Spiel, erster Sieg, ab jetzt geht es aufwärts. Ist ja auch ein tolles Mittelfeld. Jones neben Boateng. Das bürgt für Klasse und Rasse und Einsatz und Kampf. Zudem kann man ja auch mit acht Feldspielern Spiele gewinnen. Ob das nun in Mainz auch möglich ist, muss sich erst zeigen. Wir sind für alles offen. Der 1. FSV wieder mit feinem Saisonstart. Und dem gefährlichen Doppel-Müller im Kader. FSV - S04 2:1

Am Samstagabend um 18Uhr30 stehen sich an der gelben Stellwand im ehemaligen Westfalenstadion mit Jürgen Klopp und Torsten Fink gleich zwei sehr kloppähnliche Trainer gegenüber. Obwohl sie ja genau genommen nebeneinander an der Seitenlinie stehen. Der HSV ist immer für lustige Spiele und interessante Ergebnisse gut. Sagen wir mal für ein 3:3 auf Schalke oder ein 1:5 gegen Hoffenheim. Dortmund möchte möglichst viele Punkte auf dem Konto haben, ehe die Champions League los geht. Der HSV auch. BVB - HSV 1:0

Es gibt Mannschaften, gegen die andere Mannschaften einfach nicht gut aussehen. Für Gladbach ist die TSG Hoffenheim so ein Gegner. Gegen 1899 gab es nie allzuviel zu holen, schon mal gar nicht in Sinsheim. Die Borussia bislang vor allem zuhause mit ansprechenden Leistungen, auswärts dagegen mit zwei Schlappen aus zwei Spielen. Fast-Absteiger Hoffenheim bis zum 2:6 in Stuttgart mit gutem Saisonstart, aber mit 12:12 Toren nach vier Spielen. Muss man auch erst mal hinkriegen. 1899 - Borussia 1:1

Für Eintracht Braunschweig geht am 5. Spieltag die Suche nach dem ersten Bundesliga-Punkt weiter. Ein ganzes Tor gelang dem Aufsteiger bislang. Das würde schon für den knappsten aller Siege gegen den 1. FC Nürnberg reichen. Aber die Clubberer müssen nach nur zwei Punkten aus den ersten vier Spielen auch sehen, wo sie bleiben. Eintracht B - FCN 1:0

Best of Blog7 (III): Eine ehrliche Haut


(teo) Er sagte mal, er hätte im Nachhinein lieber 50 Länderspiele als 50 Anekdoten gehabt. Doch vielleicht muss man es in der Rückschau auf Ansgar Brinkmanns Fußball-Karriere einfach positiv sehen: Auch die 50 Geschichten - und das ist vermutlich noch niedrig geschätzt - kann ihm keiner mehr nehmen. Und uns, dem Publikum, den Fußball-Fans, auch nicht.

Der doppelte Ansgar.

(Foto (c): Thomas Ottensmann)
Wie damals, als er aus der Kreisklasse vom BV Cloppenburg II in die 2. Bundesliga zu Eintracht Frankfurt wechselte und vom Reporter der Zeitung mit den großen Buchstaben gefragt wurde, was er eigentlich in Frankfurt wolle. Ansgar Brinkmann musste gar nicht lange überlegen und antwortete "Das kann ich Ihnen sagen. Ich bin hier, um die Mannschaft zu verstärken." Und der Replik des Reporters "Sie haben aber Selbstvertrauen" mit einem munteren "Selbstvertrauen ist mein Hobby" begegnete.



Oder als er bei einem Hallenturnier mit Mainz 05 von den Feldjägern abgeholt wurde, weil er wochenlang den Einberufungsbescheid zur Bundeswehr irgendwie, nunja, ausgeblendet hatte. Er durfte das Turnier  zu Ende spielen, wurde später Kapitän der Bundeswehr-Nationalmannschaft. Mit einem legendären Spiel in der Ukraine, nach dem fatalerweise Wodka gegen die Kälte gereicht wurde. Aber das ist eine andere Geschichte.

Der letzte Straßenfußballer und der weiße Brasilianer - Etiketten, die an Ansgar Brinkmann haften blieben. Nicht wegen des Klebstoffs - sondern weil sie passten. Der technisch versierte Dribbelkönig von Preußen Münster, Eintracht Frankfurt, Mainz 05, vom VfL Osnabrück und Arminia   Bielefeld (Liste definitiv sehr unvollständig), der auf und neben dem Platz Gegen- und Mitspieler, von Trainern und Funktionären mal ganz abgesehen, gleichermaßen in den Wahnsinn trieb - dieser Dribbelkünstler verhedderte sich allerdings auch außerhalb des Platzes so manches Mal in den Fallstricken des Lebens.

Wie damals, als er in Gütersloh einen Blumenkübel in das Schaufenster eines Friseurladens warf und über die Dächer einiger Taxis spazieren ging. Oder in Bielefeld als es in einem amerikanischen Schnellrestaurant zu einer "verbalen Kabbelei" ("Wenn ich jetzt du wäre, wäre ich lieber ich.") mit nacktem Oberkörper kam. Oder als er in Osnabrück seinen Porsche während einer Polizeikontrolle auf der Kreuzung stehen ließ und  im Vollsprint einfach weglief. Oder als er im Trikot von Arminia Bielefeld vor dem Spiel in Bochum in der Kabine erst mal eine Pommes (rot-weiß) verdrückte, weil er mit nüchternem Magen nicht auflaufen wollte. Aber das ist eine andere Geschichte.

Christian Ludewig vom Verlag 
Delius Klasing mit Ansgar
Brinkmann (re.) bei der Buch- 
Präsentation in Osnabrück.

(Foto (c): Thomas Ottensmann)
Man kann Ansgar Brinkmann wohl manches vorwerfen, aber eines sicher nicht: Dass er nicht seinen Weg gegangen wäre. Und zu allem steht, war er im Laufe seiner langen Karriere so anstellte. "Der Weg, den ich gegangen bin, war nicht immer richtig. Aber das war ich", sagt er im Vorwort zu seiner Autobiographie "Ansgar Brinkmann - Der weiße Brasilianer" (Delius Klasing 2011), die er gemeinsam mit dem Journalisten Bastian Henrichs schrieb. Vier Jahre nach seinem Abschiedsspiel auf der Bielefelder Alm, zu dem unter anderem alte Weggefährten wie die Nationalspieler Bernd Schneider, Fredi Bobic, Icke Häßler, Thomas Berthold und Uwe Bein kamen, lebt der 41-Jährige wieder in Osnabrück. Er, der in über 20 Jahren für 18 Vereine kickte und dabei 37 Trainer erlebte, ist mal wieder gewechselt. Diesmal auf die andere Seite des Profi-Fußballs.

Er, der sich in seiner Zeit bei Mainz 05 das Zimmer im Trainingslager mit dem heutigen BVB-Trainer Jürgen Klopp teilte, ist jetzt Scout. Sichtet in der ganzen Welt Talente, die es im deutschen Profi-Fußball vielleicht mal schaffen könnten. Er ist unabhängig, scoutet für viele Klubs, unter anderem auch für den SC Preußen Münster. Den Weg auf die andere Seite ebnete Reiner Calmund, der sich als Manager von Bayer 04 einst so ärgerte, weil dem Bielefelder Rechtsaußen der Ball "wie Pattex am Fuß" klebte und Brinkmann die Leverkusener Abwehr quasi im Alleingang sehr oft sehr alt aussehen ließ.

Wie wertvoll gute Talentsichtung im modernen Fußball ist, zeigen die aktuellen Beispiele aus Nürnberg, Mainz und nicht zuletzt aus Dortmund, wo mit jungen, bis vor kurzem noch nahezu unbekannten Spielern begeisternder Fußball geboten wird - der zudem noch erfolgreich ist.

Ansgar Brinkmann hat mal gesagt, dass er dem Fußball auf jeden Fall erhalten bleiben wolle, ob als Scout, Platzwart oder Trainer sei egal. Das  Enfant Terrible als Trainer? Gegenfrage: Warum nicht? Die A- und B-Lizenz hat er jedenfalls in der Tasche, die Fußball-Lehrerausbildung soll bald folgen. Denn der Fußball lässt Ansgar Brinkmann nicht los. "Das sind Momente, die man nicht kaufen kann. Jedes Spiel ist anders, jedes Spiel besonders. So ist Fußball, in jeder Liga", sagt Ansgar Brinkmann - und hat mal wieder recht.

Aber was treibt ihn eigentlich an, wo liegt für den ehemaligen Berufsfußballer der Reiz dieses angeblich einfachsten Spiels der Welt? Die Antwort gibt er in seinem Buch: "Es liegt daran, dass im Fußball alles möglich ist, dass der Kleine den Großen schlagen kann, dass es so einfach und doch so kompliziert ist." Ansgar Brinkmann begreift seinen Weg durch 20 Jahre Fußball dabei als Glücksfall. Er sagt, der Fußball habe ihn gerettet. Das darf man wörtlich nehmen. Aber auf die Frage, ob auch Wehmut bei der Arbeit an seinem Buch aufgekommen sei, braucht Ansgar Brinkmann nicht lange zu überlegen: "Wehmut nicht, eher Demut. Denn der Fußball war für mich ein großes Geschenk."

Verwunderlich ist dabei immer wieder, dass er, der für die heftig rivalisierenden Klubs aus Osnabrück, Bielefeld und Münster abwechselnd die Stiefel schnürte, trotzdem auch heute noch von den jeweiligen Fans dieser Klubs als einer der ihren gefeiert wird. So wie in Frankfurt, Dresden und Gütersloh, wo es sogar bis heute einen Ansgar-Brinkmann-Fanclub gibt. Unerklärlich? Mitnichten. Er war ja immer einer von ihnen. "Beim Fußball will ich alles mitbekommen, jede Szene, jede Geste", sagt Ansgar Brinkmann, denn "ich bin ja selbst ein Fan."

(Text, Fotos und Video (c): Thomas Ottensmann)

Best of Blog7 (II): Tief im Norden

(teo) In der Nacht auf Sonntag fehlt wieder eine Stunde. Durch die Umstellung auf Sommerzeit geklaut. Weg. Futsch. Aber was passiert eigentlich in 60 Minuten? Im Rahmen der Reportage-Reihe "Eine Stunde" hat sich der Reporter in die Katakomben des Bochumer Stadions begeben und erlebte dort im Spielertunnel die letzte Stunde vor dem Anpfiff des Spiels VfL Bochum gegen Energie Cottbus. Es ging um den Aufstieg, doch für den Reporter kam zunächst der Abstieg: zehn Meter unter der Nordtribüne harrte er der Dinge, die da kommen mögen.


Harte Jungs, weicher Kern: 
Plakat des VfL Bochum zum
Spiel gegen Energie Cottbus.


 (Foto (c): Thomas Ottensmann)


18.15 Uhr. Früher schlossen um diese Zeit schon bald die Geschäfte. In der Bochumer Innenstadt, wo die Geschäfte schon lange bis 20 Uhr geöffnet sind, herrscht bei allerschönstem Frühlingswetter noch reges Flanieren. Die Menschen zieht es aus den Büros und Geschäftsstellen nach draußen. Zu Bundesligazeiten dominierte an Heimspieltagen zwei Stunden vor dem Anpfiff längst die Farbe Blau-Weiß. Pünktlich zum Frühlingsanfang zwar allüberall blaue Bänder, die munter durch laue Lüfte flattern, aber blau-weiße Schals und Trikots? Fehlanzeige.

Auf dem Fußweg zum ehemaligen Ruhrstadion, das längst wie ein Energiekonzern heißt, Jogger zuhauf, stromernde Hunde, Menschen auf Parkbänken, die die späte Sonne genießen. Flaggezeigende Fußballfans? Von wegen. Derweil geht die Sonne hinter den mächtigen Betonbalkonen des Stadions an der Castroper Straße unter. Es geht auf 18.45 Uhr zu, die letzten 90 Minuten vor den entscheidenden 90 Minuten im Zweitliga-Spitzenspiel des VfL Bochum gegen Energie Cottbus. Die zu Recht legendäre Bochumer Currywurst in den vielen Buden rund um das Stadion liegt noch roh auf dem Rost. Doch Weißwurst braucht hier kein Mensch.

18.48 Uhr Endlich Menschen in Trikots, ein Bastürk mit der 10 - er hat bestimmt 120 Kilo und ein Holtby mit der 18 - mit rasiertem Schädel und Vollbart - überholen mich. Aufgeregte Blagen in quietschgrünen und rosa Auswärts-Ausweichtrikots toben herum - ästhetisch zweifelhaft mit diesem blauweißem Vereinswappen - aber egal, Hauptsache gefühlsecht. Pfandsammler warten mit monströsen Tüten am Stammplatz mit ihren sauber eingeparkten Einkaufswagen darauf, dass endlich ausgetrunken wird. Dazu müsste aber erst mal angetrunken werden.

Die ersten S-Bahnen spucken jetzt langsam Waggon für Waggon die VfL-Fans aus. Am „Treffpunkt Litti“, wie die im Betoncarrée zementierte Litfaßsäule genannt wird, die so unverrückbar am Zugang zur Ostkurve,  der Heimat der unentwegten VfL-Fans, steht, wird gefachsimpelt, getrunken und gefeiert. In Bochum gibt es Currywurst, sie heißt "Die Echte". Darauf sind die Menschen hier stolz, genauso wie auf ihr Bier, das seit dem 19. Jahrhundert in Bochum gebraut wird und das wohl auch nur hier so richtig gerne getrunken wird.

19 Uhr Das Treffen mit Christian Schönhals, dem Pressesprecher des VfL Bochum, steht auf dem Plan. Eingang Medienzentrum war verabredet. Doch Christian Schönhals kommt nicht. Dafür kommt Peter Neururer, der Ex-Coach des VfL, der hier immer noch so beliebt ist wie einst im Mai. Als er den Neururer-Shuffle mit den Fans tanzte und mit der grauen Maus der Bundesliga einfach mal schnell in den Uefa-Cup flitzte.

„Peter, ein Foto?“, ruft ihm ein Teenager im blau-weißen VfL-Trikot zu. Der seit geraumer Zeit beschäftigungslose Trainer unterbricht sein wichtiges Fachgespräch - ging wohl um die Nachteile der flachen Raute (4-1-4-1) und die Umstellung auf den Tannenbaum (4-3-2-1) - sagt „Ja sicha!“ geht hin und lässt sich mit dem Handy anblitzen. Sein Lächeln wirft ein Echo.

19.07 Uhr Peter Neururers Frisur sitzt. Christian Schönhals kommt nicht. Anruf auf der Pressestelle, „mir läuft hier die Zeit weg“.

19.15 Uhr Der Countdown läuft, die letzten 60 Minuten vor dem Anpfiff des Spiels beginnen für mich vor den geschlossenen Toren des Medienzentrums Morizz. Oben wird Fiege getrunken, das ist das Bier, das es (so gut wie) nur in Bochum gibt. Dann, pünktlich wie ein Maurer, ist Christian Schönhals plötzlich doch da. Hat sich aus dem Dunstkreis des Fan-Gewusels zwischen Polizeistation, Fan-Shop und VfL-Kneipe irgendwie neben mir materialisiert, ohne dass ich es bemerkt hätte. „Hallo. Westfälische Nachrichten?“. Ich antworte „Ja.“ Obwohl ich seinerzeit auf einen anderen Namen getauft wurde.

Dann mal los. Treppe runter, Treppe runter, einmal scharf rechts und wir stehen in einem weiß getünchten Gang. Hier liegen die Leitungen über Putz, wie in jedem handelsüblichen Keller. Mit dem Unterschied, dass ein handelsüblicher Unterbau in einem Einfamilienhaus in der Regel nicht über eine Mixed Zone verfügt, in der Journalisten von Print und Hörfunk nach dem Spiel ihre Interviews mit Trainern und Spielern führen können. Fensterlos, tief im Norden des Stadions, zehn Meter unter der Pressetribüne.
In fensterlosen Räumen die
Luke zur Welt: 
Fernseher
in der sogenannten Mixed Zone.


(Foto (c): Thomas Ottensmann)

Ich höre die Fans in der Ostkurve, höre die 
Gesänge („Unten auf dem Rasen“) und Sprechchöre („VfL, mein Herz schlägt nur für dich“) und sehe: Nichts. Zumindest nicht mit eigenen Augen. Aber in dieser mit blauem Band abgetrennten Zone auf 3 x 4 Metern steht ein alter Röhren-Fernseher auf einem kleinen Regal. Der Empfang ist schlecht. Flimmern und Rauschen. Auf dem Bildschirm sehe ich das, was im Stadion auf die Leinwände übertragen wird, was aber jeder Fan im Rund ohnehin mit eigenen Augen sieht. Wie sich das Stadion nach und nach füllt, wie das Betonkästchen mit Grünfläche langsam zum Leben erwacht. Diese Stunde wird einsam.

Was nur bedingt stimmt. Julia Schurna und Christian Zwingmann leisten  mir Gesellschaft, aber sie sind nicht zum Spaß hier, sondern auf Schicht: Die beiden Mitarbeiter einer privaten Sicherheitsfirma stehen Spalier für die Spieler, die hier durch müssen. Zum Aufwärmen und später zum Spiel.

19.40 Uhr Ich höre Stollenschuhe auf dem Betonboden. Zuerst die rotweißen Gäste aus Cottbus, dann die Lokalmatadoren aus Bochum. Sehen größer aus, als von der Tribüne. Einige nicken freundlich, sagen „Hallo“, wundern sich über den einsamsten Reporter der Welt, der eine eigene Medien-Zone ganz für sich allein hat. Einer ruft: „Mach die Kamera aus!“. Was gibt es denn vor dem Spiel zu berichten? Eine Menge.

Zum Beispiel, dass der Energie-Trainer „Pele“ Wollitz , in Brakel geboren und später auf Schalke zu Ruhm gekommen, der Freundlichste ist, der sichtlich Spaß an der ungewohnten Szenerie hat. Er kommt um die Ecke - und grinst. Und ich kann plötzlich sehen, was er denkt: Was macht der  kleine Reporter denn da - außer mit der blonden Sicherheitsdame zu flirten?

Pele Wollitz, der Freundlichste? Wer den Trainer im Spiel an der Außenlinie sieht und vor allem hört, kann sich das vielleicht nicht vorstellen. War aber so. 90 Minuten Ausnahmezustand, regelrechtes Seitenlinien-Tourette , aber davor und danach: ein netter, ausgeglichener, höflicher und - zugegeben - recht emotionaler Mensch. Vergleiche auch Jürgen Klopp. Sonst noch?
20.01 Uhr: Bochums Keeper Andreas Luthe
hat angeschwitzt. Der Reporter auch. 


(Foto (c): Thomas Ottensmann)
Andreas Luthe, der Bochumer Keeper, grüßt freundlich und Slawo Freier, der durch eine Grippe außer Gefecht gesetzte Ex-Nationalspieler und deshalb in Zivil bei der Mannschaft in der Kabine, lässt sich sogar auf einen kleinen Plausch über die gemeinsame Heimat, das Sauerland, ein. Der Slawo, der früher mal Paul hieß, wünscht mir hernach alles Gute. Die Mannschaft hat derweil angeschwitzt. Ich auch.

20.02 Uhr Hinter verschlossenen Türen die Mannschaftsansprache. Friedhelm Funkel, in den Katakomben wie erwartet introvertiert, besonnen und nachdenklich, findet mal wieder die richtigen Worte. Wie wir im Nachhinein wissen.

20.10 Uhr Ein Pfiff wie eine gestopfte Trompete. Was Wunder: Er kommt aus der Schiedsrichterkabine, hinter verschlossenen Türen. Das Zeichen zum Aufbruch. Plötzlich Getümmel in blau und weiß, ohrenbetäubender Lärm. Was ist denn da los? Ach ja, die Ballkinder kommen. 25 Kinder in geschlossenen Räumen - ein beachtlicher Pegel!

20.11 Uhr Und dann, endlich: Stollenschuhe auf Beton, die zweite. Der Einmarsch der Protagonisten. Das Stadion kocht, die Tribüne wummert. Im Bauch des Wals ist noch Leben. Die Spieler jetzt hochkonzentriert, ordnen noch mal ihre Trikots, zupfen versonnen an den Stutzen. Alle in gespannter Erwartung. Wie das Spiel wohl laufen wird? Es geht um den Aufstieg. Dritter gegen Sechster, vier Punkte voneinander getrennt. Ein Big Point, das wissen hier alle.

20.12 Uhr Der Keller ist leer, über den Bildschirm flimmert die Gedenkminute für Japan, zweiundzwanzig Spieler senken den Kopf, das Stadion ist still, ganz still - zum ersten Mal an diesem Abend. Danach kommt der Stadionsprecher, der die Aufstellungen ins Mikro schreit. Die Fans brüllen jeden Namen zurück, dann singt der Herbert: „Tief im Westen...“ - und aus tausenden Kehlen dann im Chor: "...wo die Sonne verstaubt".

20.15 Uhr Anpfiff. Eine Stunde ist vorbei. Viel passiert, aber das Wichtigste kommt erst noch. Raus ins Leben, raus an die Luft, die hier nach Currywurst und Bier riecht. Tief im Norden, unter der Tribüne, macht in der Mixed Zone einer das Licht aus.

(Text, Fotos und missing Video (c): Thomas Ottensmann)

Donnerstag, 12. Februar 2015

Best of Blog7 (I): Die Lust des Tormanns beim Elfmeter

(hai) Andreas Luthe hat keine Chance. Und nutzt sie. Immer wieder. "Ein Fußball-Profi muss einen Elfmeter reinmachen, eigentlich immer", sagt er, "oder zumindest in 95 Prozent der Fälle. Das erwarte ich." Jetzt ist Andreas Luthe zwar Fußball-Profi, aber er hat noch nie einen Elfmeter verwandelt. Denn er steht auf der anderen Seite, auf der Linie, im Tor des Zweitligisten VfL Bochum. Und dort macht er dann deutlich seltener einen Fehler als der Spieler, der zum Elfmeterpunkt schreitet.

Andreas Luthe , 27-jähriger Keeper des VfL Bochum,
ist der mit Abstand 
beste deutsche Elfmetertöter der Gegenwart.  
(Foto (c): Thomas Ottensmann)
In der Saison 2010/2011 als der VfL erst in der Relegation gegen Borussia Mönchengladbach (damals noch mit Marco Reus, Roman Neustädter und Dante) den Wiederaufstieg mit 68 (!) Punkten unfassbarerweise verpasste, hielt er beispielsweise sechs von acht Strafstößen in Folge. Der aus Velbert vor dreizehn Jahren zum VfL gewechselte 1Meter94 große Mann hatte damit eine Erfolgsquote von 75 Prozent. Der helle Wahnsinn. Das schafften vor ihm nicht einmal die als Elfmeterspezialisten bei Fußball-Romantikern legendären Rudi Kargus, Jörg Butt oder Andy Köpke, die in Fußball-Deutschland immer noch als Elfmeterkiller par excellence gelten. 

"Wenn der Luthe im Tor steht, treten wir gar nicht mehr zum Elfmeter an", hat in der besten Elfer-Saison Luthes mal ein Offizieller von Alemannia Aachen gesagt. Und der muss es wissen. Aachen (mittlerweile in der 4.Liga, also der Regionalliga West, zuhause) bekam in drei Spielen gegen Bochum drei Strafstöße zugesprochen, dreimal ging der Ball nicht rein, zweimal hielt Luthe seinen VfL im Spiel, einmal die Latte. Bochum gewann beide Spiele gegen die Alemania. Der Autor dieser Zeilen war im Drei-Elfmeter-Spiel in Aachen übrigens Augenzeuge.

Glaubt man dem Schriftsteller Peter Handke, dann ist es der Tormann der beim Elfmeter Angst hat. Außer wenn der Torwart Luthe heißt. Wissenschaftliche Studien belegen zudem das Gegenteil: Dem Elfmeterschützen schlottern die Knie. Warum sollte der Keeper auch Angst haben? Genau genommen ist dieses einseitige Duell ja unfair, für den Torwart nahezu aussichtlos. Denn das Tor - jeder, der mal drin stand, weiß das - ist riesig: 2Meter44 hoch und 7Meter32 breit. Im Mutterland des Fußballs, auf der britischen Insel - daher das im metrischen System so krumme Maß - waren das in den Anfängen 8x24 Fuß. Und dann kommt da einer aus elf Metern frei zum Schuss und kann sich die Ecke aussuchen. Klingt einfach. Der Torwart hat keine Chance. Er weiß ja nicht, wohin der Ball kommt.

Um es mit Wayne Rooney zu sagen: "Ich ziele nie. Denn wenn ich nicht weiß, wohin ich schieße, woher soll es dann der Torwart wissen?" Gute Frage. Cooles Zitat. Das auch dem 2011 laut Kicker-Rangliste besten deutschen Zweitliga-Keeper (Notendurchschnitt 2,68) recht gut gefällt: "Geiler Spruch." Und: "Wayne Rooney hat recht." 

Soweit so gut, aber warum hält Andreas Luthe dann diese vermaledeiten Elfer so oft und so gerne? Er behauptet in Interviews ja nicht selten, dass da auch viel Glück dabei sei. Wirkt aber in der Realität, die bekanntlich aufm Platz liegt, nicht so. Cool, konzentriert und abgezockt, so steht Andreas Luthe vor dem Strafstoß auf seiner Linie. Sehr lange steht er dort, lässt den Spieler zappeln, bietet ihm keine Ecke an, macht keine Faxen. Der Keeper konzentriert, der Spieler konsterniert. So war es in der Verganenheit sehr oft. 

In der 2. Liga hatte 2011 nur ein einziger Spieler einen Strafstoß gegen den VfL Luthe, versenkt. Silvio von Union Berlin hieß der Glückspilz. Aber der spielt nicht mehr in der zweithöchsten Profiliga Deutschlands. Verdienst des Torwarts? Andreas Luthe, bescheiden, höflich und aufgeräumt, winkt ab: "Wenn einer einen Elfmeter nicht verwandelt, dann hat er einen Fehler gemacht." So einfach ist das.

(In Bälde i
m Exklusiv-Interview mit Blog7Andreas Luthe über den ominösen Punkt, seine Liebe zur italienischen Sprache und warum er einst so gern in der Geschäftsstelle des VfL Bochum in der IT-Abteilung arbeitete.)


[Text und Foto von Hacky Wimmer (c) für Blog7]

Donnerstag, 5. Februar 2015

Letzte Ausfahrt Breisgau

Bevor der BVB und Jürgen Klopp
getrennte Wege gehen, 
friert eher die Hölle zu.


(Foto (c) gefunden auf und
verlinkt mit: 
http://i.dailymail.co.uk/)