Freitag, 18. November 2011

Auf der Schotterpiste der Blamage

Münster/Lennestadt - Die Sache ist klar. Borussia Mönchengladbach kann kommen. Der SCP ist auf wackligen Beinen den dritten Schritt auf dem Weg in die 1. DFB-Pokal-Hauptrunde gegangen. Die Preußen waren als Drittligist beim Achtligisten FC Lennestadt im Sauerland aber lange Zeit lediglich auf der Schotterpiste der Blamage unterwegs. Die Adlerträger siegten letztendlich zwar nicht gänzlich unverdient, aber um ein bis zwei Tore zu hoch mit 4:1 (1:1, 1:1). Der Re-Live-Ticker zum Spiel .

120. Minute Die Sache ist gegessen. Schlusspfiff, aus, Ende, Feierabend. 4:1 siegt der SCP mit großer Mühe in Südwestfalen. Die 2.500 Zuschauer verließen aber zu einem Großteil schon nach dem 3:1 das Stadion in Lennestadt. Für die Preußen heißt es nun: Borussia Mönchengladbach kann kommen. Naja, so gut wie. Ach so: Andere Gegner im Preußenstadion? Andere Wunsch-Lose für die 1. DFB-Pokal-Hauptrunde? Aber gern: Bitte per Wunsch-Mail an redaktion.online@wn.de

"Haste Scheiße am Schuh
haste Scheiße am Schuh."

(Andreas Brehme)

(Handy-Fotto: Thomas Ottensmann)

Kleiner Mund ist schnell abgeputzt
108. Minute Julian Loose - in der 3. Liga wegen seiner roten Karte aus dem Spiel gegen Wacker Burghausen noch gesperrt, im Pokal aber spielberechtigt - legt nur knappe 100 Sekunden später zum 4:1 nach. Jetzt ist der Drops hier gelutscht. Ein Doppelschlag in gut 140 Sekunden entscheidet ein ganz enges Pokalspiel. Nein, ich habe nicht "typisch" gesagt. Und wenn, dann wäre es höchstens "tückisch" gewesen. Drei Euro ins Phrasenschwein.

106. Minute Kleiner Mund ist schnell abgeputzt. In Windeseile gar: Björn Kluft macht - wie weiland Güvenisik nach der Halbzeit - 60 Sekunden nach dem Seitenwechsel das 3:1 für den SCP. Spätes Glück also für die Preußen, die hier - nur zur Erinnerung - als Drittligist beim Achtligisten FC Lennestadt lange Zeit nur auf der Schotterpiste der Blamage unterwegs waren. Und die letzte Ausfahrt nicht fanden.

105. Minute So. Jetzt schnell die Seiten wechseln, den Mund abputzen und weiter gehts. Eine Viertelstunde trennt den SC Preußen Münster noch vom Einzug in die 4. Runde des Westfalenpokals. Oder vom Aus beim fünf Spielklassen tiefer kickenden Amateurligisten FC Lennestadt. Nur zur Erinnerung. Als Westfalenpokalsieger winkt die 1. Hauptrunde im DFB-Pokal und das Traumlos gegen, sagen wir mal Borussia Mönchengladbach. Nur zur Erinnerung.

Kunstvoll den Rasen umgepflügt

104. Minute Das Tor passt zum Spiel: Aus dem Gewusel trifft Radovan Vujanovic zum 2:1 für den SCP. Wir schreiben die 97. Minute. Noch 23 Minuten. Nach Adam Riese. Oder nach Marc Fascher, der mit der Digitaluhr sicherlich auch mitstoppt. Die Preußen jetzt wieder engagierter. Aber der FC Lennestadt ist noch nicht geschlagen. Im Gegenteil: Hier wird der Boden umgepflügt. Was nicht nur artistisch klingt, sondern auch so ist: Im Hensel-Stadion wird auf Kunstrasen gespielt.

95. Minute Der SCP steckt fest. In der ersten Hälfte der Verlängerung. Max Schulze-Niehues, der seit seinem Wechsel zurück von Fortuna Düsseldorf II erstmals das Tor der Drittliga-Profis hütet, musste bereits zweimal den Ball aus dem Netz holen. Wir erinnern uns: Es steht hier 1:1. Einmal war es es ein Tor, einmal nicht. Der Schiedsrichter erkannte den Lennestädter Führungstreffer, der schon über den Ticker gegangen war, nicht an. Auch Preußen traf zweimal: Güvenisik regulär, N'Diaye in der ersten Halbzeit lediglich aus dem Abseits. Es steht also weiter 1:1 und irgendwie auch auf des Messers Schneide.

Verlängerung ante portas

90. Minute Aus, aus, aus. Das Spiel ist aus! Hat aber keinen Sieger. Der SCP, der auch in der 3. Liga in 16 Spielen satte achtmal remisierte muss also in die Verlängerung. Der FC Lennestadt übrigens auch. Dabei waren die gar nicht so schlecht. Das hatten sich die Preußen wohl anders vorgestellt. Der FC Lennestadt aber sicher auch. Des einen Freud, des anderen Leid. Ist halt wie im richtigen Leben. Wie sagt Ailton: Sos Fusball.

88. Minute Zwei Minuten noch. Plus Nachspielzeit, so sagt man wohl im modernen Fußball. Apropos: Mit modernem Fußball hat das hier nicht allzu viel zu tun. Höchstens mit eigenen Gesetzen. Und mit dem Willen, der auch zumeist den Weg weist. Die Frage sei an dieser Stelle kurz erlaubt und sofort gestellt: Wer hat denn nun den größeren Willen - und wer findet diesen schmalen Weg, der die Verlängerung vermeiden lässt. Preußen macht in den letzten Minuten endlich mal wieder mehr Dampf. Doch es steht Spitz auf Knopf in diesem kleinen Stadion. Die Verlängerung steht vor dem Tor, ähem, der Tür.

Bastelmaterial nur widerwillig genommen

80. Minute Das Stadion tobt. Marc Fascher auch. Der FC Lennestadt hält ein 1:1 - und wäre in der 73. Minute sogar fast in Führung gegangen. Der vereinseigene, fleißig ratternde Preußen-Ticker vermeldete das 2:1 für den Bezirksligisten schon. Und nahm es dann zwei Minuten später wieder kommentarlos zurück. Gleichwohl: 1:1 nach 75 Minuten gegen den Drittligisten, das ist für den FC Lennestadt schon jetzt und ganz in echt - und völlig egal, wie es dann ausgeht - vor fast 2.500 Zuschauern wirklich das "Spiel des Jahres". Punkt. Der Drittligist aus Münster weiß nicht, wie ihm geschieht. Und Radovan Vujanovic auch nicht: Er hat sich gerade ebenfalls Bastelmaterial beim Schiedsrichter abgeholt. Und nahm den gelben Karton dann doch nur widerwillig.

70. Minute Nein, an dieser Stelle soll NICHT daran erinnert werden, dass der Tabellenführer der Sauerland-Bezirksliga in den ersten beiden Runden zunächst einen Westfalenligisten (6. Liga) und dann einen NRW-Ligisten (5. Liga) ausschaltete. Denn wer diese mathematische Reihe fortsetzt, bekommt es mit der Angst zu tun, zumindest, wenn er Preuße ist. Noch zwanzig Minuten. 8. Liga gegen 3. Liga 1:1.

65. Bei den Preußen wird gewechselt. Für Joe Vunguidica kommt Björn Kluft. Derweil macht Jürgen Duah da weiter, wo er gegen Bielefeld aufhörte: Er sieht die gelbe Karte. Die dritte in vier Tagen. Respekt.

FC Lennestadt schickt 1:1 per Schneckenpost

55. Minute Postwendend wäre übertrieben. Obwohl... Mit der Schneckenpost gibt der FC Lennestadt den Gegenzug in Auftrag. Acht Minuten nach der Führung der Preußen durch Güvenisik dann also der Ausgleich für den FC Lennestadt. Zugestellt durch Baumhoff, der den Ball nach einer Ecke aus drei (!) Metern über die Linie drückt. Der SCP konsterniert. Das Stadion euphorisiert. Deutlich über 2.000 Zuschauer verfolgen übrigens diese Pokal-Partie in Lennestadt im Kreis Olpe.

Vermisste Nummer 80 netzt nach 80 Sekunden ein

46. Minute Der Ball rollte kaum wieder, da lag er schon regunslos im Lennestädter Netz. Nix mehr mit "tapfer wehren" und "wacker kämpfen": Der SCP führt beim Bezirksligaspitzenreiter seit der 47. Minute mit 1:0. Sercan Güvenisik legte den Schalter im Sauerland um: Der SC Preußen geht also direkt nach dem Seitenwechsel in Südwestfalen durch die in den letzten Wochen schmerzlich im Sturm vermisste Nummer 80 in Führung. 80 Sekunden nachdem der Stürmer für Babacar N'Diaye eingewechselt worden war. Wie es nun weitergeht? Carsten Gockel, Sportvorstand des SCP, sagte gerade am Telefon, just in dem Moment als das 1:0 für die Preußen fiel: "Jetzt machen wir noch ein paar." Schaun mer mal.

45. Minute Huch, der FC Lennestadt, in Gestalt eines gewissen Gödde (42.) zwingt den fünf Klassen höher spielenden SC Preußen zu einer ersten ernsthaften Abwehraktion. Kühne und Kirsch (44.) klären gemeinschaftlich. Teamwork. Und dann, unvermeidlich: Halbzeit in Lennestadt. 0:0. Für den Achtligisten ein schöner Erfolg, für den SCP nicht. Und jetzt: Erstmal einen Pausentee.

Wo ist das Dampf-Ablassventil?

40. Minute Loose, Heise, N'Diaye, Truckenbrod - was sich wie eine Wiederholung anhört, ist die Bilanz der letzten zehn Minuten. Die Preußen machen Dampf, können ihn aber nicht ablassen. Zumindest nicht im Form eines Torjubels. Und der FC Lennestadt? Nun, man hört ja ebenso oft wie ungern, dass "die Amateure sich hier wacker schlagen" und dass der Achtligist sich "mehr als tapfer schlägt", vielleicht sogar "richtig teuer verkauft". Und hier, heute Abend im Hensel-Stadion? Stimmt das alles. Verkehrte Welt! Eigene Gesetze! Noch was: Der SCP braucht jetzt ein Tor. Das dem Spiel im Übrigen gut tun würde. Und den mitgereisten etwa 120 Preußen-Fans auch.

30. Minute Weiter geht es auf dem Kunstrasen im Sauerland, im Minutentakt - und zwar in eine einzige Richtung: Das Tor des FC Lennestadt im Belagerungszustand. Kühne, Heise, Loose - in dieser Reihenfolge prüft der SCP die Roten des FC. Bislang ohne Erfolg.

20. Minute Der SCP drückend überlegen, will hier früh für klare Verhältnisse sorgen. Babacar N'Diaye traf bereits für die in weiß spielenden Preußen, wurde aber wegen einer Abseitsstellung von Schiedsrichter Michael Sahm zurückgepfiffen.

15. Minute Die Preußen diktieren das Spiel in Lennestadt. Das Hensel-Stadion ist gut gefüllt. Aber auch der heimische Bezirksligist lässt sich nicht lumpen und hat sich schon einmal mit einem sehenswerten Distanzschuss ins Geschehen eingemischt. Die Anfangsphase war bislang mehr von hektischer Betriebsamkeit, als vom berühmt-berüchtigten Abtasten geprägt.

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Zwischen Biggesee und Atta-Höhle: Scheuer Blick ins ferne Lennestadt
Von Thomas Ottensmann,

Michael Kurzeja ist Trainer in Lennestadt. Und zwar sehr gern. Besonders natürlich in diesen Tagen, wenn das Spiel seines Lebens ansteht - wie die hiesige Presse jetzt überschwänglich schrieb. Hört sich übertrieben an, ist es aber wohl nicht. 

Heute Werdohl, morgen Erndtebrück, übermorgen Münster

Denn mit Preußen Münster kommt ein großer Name nach Südwestfalen und eine Mannschaft, die die Jungs des Bezirksligaspitzenreiters wohl nur aus der Sportschau kennen. Auf den Mittwochabend, wenn ab 19.30 Uhr unter Flutlicht das Spiel in der 3. Runde des Westfalenpokals angepfiffen wird und zu dem im Sauerland nach Vereinsschätzungen aus Lennestadt um die 1.500 Zuschauer erwartet werden, freuen sich aber auch die alten Haudegen, die Unentwegten, die Stamm-Zuschauer, die zum Teil schon seit Jahr und Tag zum FC gehen. 

Der 100.000-Mark-Sturm kommt!

Dann spielt es kaum eine Rolle, das hier ein Drittligist seine sportliche Visitenkarte abgibt, dann irllichtern immer noch die Schlagworte "Deutscher Vizemeister", "Gründungsmitglied der Bundesliga" und "100.000-Mark-Sturm" durch die Kleinstadt. Denn Preußen Münster ist ein großer Name. Immer noch.
80 Zuschauer, bei schlechtem Wetter weniger

1.500 Zuschauer wären übrigens das Zehnfache des normalen Zuschaueraufkommens auf dem Kunstrasenplatz in Lennestadt. 150 Zuschauer sind in der 8. Liga aber auch schon viel. Aber der FC ist ja derzeit auch Tabellenführer. Normal sind in der Bezirksliga - das ist im Übrigen die 4.Liga von unten gerechnet - 80 - 100 Zuschauer, bei schlechtem Wetter gerne auch mal deutlich weniger.

Was Wunder, dass keiner der recht jungen FC-Kicker bislang vor einer Kulisse von über 1000 Zuschauern gespielt hat. "Das wird wohl für alle Spieler der Höhepunkt der Karriere werden", sagt Michael Kurzeja, der Trainer der Lennestädter dem Internetportal www.derwesten.de, wohlwissend, dass seine Jungs in den ersten beiden Runden zunächst den zwei Klassen höher spielenden Westfalenligisten FSV Werdohl und in Runde 2 dann den drei Klassen höheren NRW-Ligisten TuS Erndtebrück aus dem Pokal warfen. Einfach so.
Karrierehöhepunkt für Mittzwanziger

Jetzt kommt der fünf Klassen höher spielende SC Preußen Münster, der im Pokal die in der Meisterschaft gesperrten Duah, Güvenisik und Loose einsetzen darf und eigentlich nicht schlagbar scheint. Träumen sie in Lennestadt schon vom nächsten Coup? Nicht wirklich, aber für Mittwochabend ist nach dem Pokalkick gegen die Preußen dann Party angesagt, so oder so.

Denn etwas zu feiern wird es beim FC Lennestadt auf jeden Fall geben. Völlig egal, wie das Spiel ausgeht. Denn es ist definitiv das bedeutendste Spiel der Vereinsgeschichte. Soviel steht für den neben dem Ex-Oberligisten RW Lennestadt, der bis in die Kreisliga abstürzte lange Zeit kleineren und erfolgloseren Fußballclub im Ort zwischen Biggesee und Atta-Höhle schon vor dem Anpfiff fest.
Schöner und schönerer 

Aus der Mannschaft des FC Lennestadt ist zu hören, dass eine Niederlage in Grenzen - sagen wir mal mit zwei bis drei Toren Unterschied - ein schöner Erfolg wäre. Inoffiziell wäre ein Sieg mit einem Tor Unterschied aber ein schönerer Erfolg. Die Feier ist ja ohnehin schon geplant. Und den Donnerstag hat sich ein Großteil der jungen Mannschaft schon mal freigenommen. Nur zur Sicherheit.

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Themenbundle mit Bilderstrecke, Voting und Video,
erschienen in: Westfälische Nachrichten Online vom 16.11.2011

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